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Einzelhandelstrends für westliche Marken in China


Totgesagte leben bekanntlich länger. Auch in China wurde dem stationären Einzelhandel der Untergang vorausgesagt. Zu beeindruckend waren die Adaptionsgeschwindigkeit von Konsumenten für digitale und mobile Einkaufsangebote sowie daraus resultierende E-Commerce-Wachstumsraten von jährlich über 30 Prozent. Seit 2013 ist China weltgrößter Onlinemarkt.

Bezeichnend ist eine Wette zwischen dem Vorsitzenden der Immobiliengruppe Wanda, Wang Jianlin, und dem Gründer von Alibaba, Jack Ma. Als Ma bei einem gemeinsamen Fernsehauftritt 2012 prahlte, dass E-Commerce den stationären Einzelhandel nahezu ersetzen werde, wettete Wang, dass es dem Onlinehandel in den kommenden zehn Jahren nicht gelingen werde die 50-Prozent-Marke am Gesamteinzelhandelsumsatz Chinas zu überschreiten. Der Verlierer soll 100 Millionen Yuan zahlen.

Obwohl die Marktforscher von eMarketer ihre Prognose der Konsumausgaben Chinas für 2019 aufgrund der Folgen des Handelskrieges zwischen den USA und China auf 5,3 Billionen US-Dollar heruntergesetzt haben, wird weiterhin erwartet dass China die USA innerhalb der nächsten zwei Jahre als weltgrößten Konsumentenmarkt ablösen wird. Nach Angaben des Nationalen Statistikamtes in China (NBS), lag der Anteil des Onlinehandels von physischen Gütern zwischen Januar und August 2019 bei 19 Prozent, womit er im Vergleich zum Vorjahr um einen Prozentpunkt gestiegen ist.

New Retail

Anstatt eines Entweder-oder liegt die Zukunft des Einzelhandels in der Integration. Analog zu Entwicklungen im Westen, wo Onlinehändler wie Amazon in den stationären Einzelhandel durch Übernahmen und die Eröffnung eigener Geschäfte vorstoßen, verschmilzt auch in China die Onlinewelt mit dem stationären Einzelhandel. Schlagwort ist seit 2016 der von Jack Ma  geprägte Begriff „New Retail“, was die Integration von Online, Offline, Technologie, Datenanalyse und Logistik in einer einzigen Wertschöpfungskette umfasst. Im Mittelpunkt stehen dabei stets der Kunde und sein Erlebnis entlang aller Berührungspunkte und auf allen Geräten. Das Integrationskonzept hat sich dabei selbst zu einem Markt für die Digitalisierung des Einzelhandels entwickelt.

Wer New Retail in der Umsetzung erleben will, kann dies im Pekinger Flagship-Store der europäischen Einzelhandelsgruppe Intersport tun. Intersport hat das Geschäft mit Tmall, Alibabas Onlinemarktplatz, im Co-Branding eröffnet und die neusten technologischen Trends integriert, um das Shoppingerlebnis der Kunden zu verbessern. So erkennen Sensoren am Eingang das Geschlecht und Alter des Kunden und geben erste Empfehlungen aus dem Produktsortiment. Verknüpfte Spiegel erkennen ein anprobiertes Kleidungsstück und liefern Produktinformationen. Ein KI-Assistent gibt Ratschläge zu komplementären Produkten. Eine Schnittstelle zu Intersports Onlinestore ist per QR-Code sichergestellt. Erst einmal eingeloggt, werden Daten zwischen dem persönlichen Account und dem Geschäft automatisch geteilt. Sollte ein Produkt in der gewünschten Größe nicht verfügbar sein, wird es online bestellt und binnen 24 Stunden zugestellt. Durch ein Augmented-Reality-Spiel können Gutscheine gewonnen und ein dabei erstellter Cartoon in sozialen Medien geteilt werden. Intersport plant, weitere Geschäfte nach demselben Muster zu eröffnen. Ausgewertete Kundendaten helfen bei der Standortwahl.

Kundenerlebnis im Mittelpunkt

Die Integration von Einzel- und Onlinehandel erfordert die Formulierung einer Omnichannel-Strategie. Diese wird je nach Branchensegment anders ausfallen. Gemeinsam wird aber sein, dass der Einsatz von Technologien dazu führen wird, dass das Kundenerlebnis nicht durch den Wechsel von Online zu Offline unterbrochen wird, sondern diese sich einander barrierefrei ergänzen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da ein angenehmes Einkaufserlebnis den Kaufentscheidungsprozess der Verbraucher beeinflusst. Eine Studie von McKinsey & Company über digitale Verbrauchertrends vom September 2019 ergab, dass 85% der Käufer in China vor dem Kauf von Kleidung (größte E-Commerce-Kategorie in China) sowohl Online- als auch Offline-Berührungspunkte nutzen (siehe Grafik). Kunden haben das grundlegende Bedürfnis Produkte vor dem Kauf zu sehen, zu fühlen und anzuprobieren und  sie anschließend sofort im Geschäft erhalten zu können. Gleichzeitig dienen physische Geschäfte auch als Ausstellungsräume, in denen Verbraucher nachdem sie online recherchiert, Kundenbewertungen gelesen und nach Werbeaktionen gesucht haben, mehr über das Produkt und die Marke erfahren und sie hautnah erleben können. Die Vertriebsmitarbeiter der Einzelhandelsgeschäfte spielen eine Schlüsselrolle um die Kunden durch Produktpräsentationen, Vorschläge und Beratungen weiter zu überzeugen.

Um die Konsistenz von physischen und digitalen Kanälen sicherzustellen, müssen Silos, die Online- und Offline-Kanäle trennen, aufgebrochen werden. Dazu zählt beispielsweise die Vereinheitlichung von Preisen und Sortimenten. Um ein rundum einzigartiges Kundenerlebnis zu gewährleisten, muss die Omnichannel-Strategie eine hohe Interaktivität und Kommunikation über alle Kanäle hinweg sicherstellen. Viele Marken bieten bereits an, Online-Käufe in physischen Läden abzuholen. Dieser Service erfordert die effiziente und funktionierende Koordination zwischen Online-Verkaufsplattformen und  Geschäften, um sicherzustellen dass das gekaufte Produkt verfügbar ist wenn der Kunde kommt.

Getrieben wird die Entwicklung durch die Kunden (Lesen Sie auch unseren verwandten Artikel zur Konvertierung des Offline-Erlebnisses zu Online-Wachstum im Einzelhandel). Chinesische Konsumenten gaben im PwC Global Consumer Insight Survey 2018 an, dass 67 Prozent vom Einzelhändler erwarten, dass dieser in der Lage ist Kundendaten und Informationen stets aktuell zu halten und ihr Einkaufserlebnis zu personalisieren. Dies geschieht in der Regel durch die Allzweckwaffe WeChat . Die App erlaubt Marken und Einzelhändlern, mit ihren Kunden in wechselseitigen Kontakt zu treten, Fragen zu beantworten, über Verkaufsaktionen und Veranstaltungen zu informieren, Geolocation-Dienste anzubieten, Produkte über ein WeChat-Miniprogramm zu verkaufen, Loyalitätsprogramme einzurichten und zu verwalten oder Kunden mit Drittanbietern im WeChat Ökosystem zu verbinden.

Alleinstellungsmerkmale schaffen

Gebrauch von diesen Möglichkeiten macht beispielsweise das Pekinger Kaufhaus The British House (TBH). Mehr als 100 britische Mode- und Lifestylemarken nutzen dessen Verkaufsfläche zur Präsentation ihrer Produkte und verkaufen diese Online über das TBH WeChat-Miniprogramm. Wer in den Genuss eines besonderen Erlebnisses britischer Kultur kommen möchte, kann dies im Harrods Tearoom tun. Mithilfe des Tearooms im British House möchte Harrods seine Kundenbeziehungen und Markenpräsenz in China stärken, so Harrods Geschäftsführer Michael Ward. Außerdem veranstaltet The British House kulturelle Events mit Bezug zum Vereinigten Königreich und spricht dadurch Liebhaber der britischen Kultur an.

Beim britischen Fußballverein Manchester United handelt es sich zwar nicht um eine traditionelle Einzelhandelsmarke, jedoch ist der Klub dafür bekannt einer der kommerziell erfolgreichsten Fußballvereine der Welt zu sein. Nur einen Steinwurf vom British House entfernt, eröffnete Manchester United im Juli 2019 sein erstes Erlebniszentrums. Um den Besuchern ein interaktives und fesselndes Erlebnis zu bieten, werden neuste Technologien genutzt. Die Anlage umfasst eine originalgetreue Nachbildung der „Trinity Statue“ aus dem Old Trafford Stadion, ein Modell der Umkleideräume sowie des Pressebereiches. Daneben lockt eine interaktive Präsentation über die Geschichte und die Erfolge des Clubs viele interessierte Fans an. Abgerundet wird der Besuch des Erlebniszentrums durch die Nachbildung des Spielertunnels aus dem Old Traffords. Dieser verfügt über modernste Sound- und Lichteffekte, um die Atmosphäre vor dem Betreten des Spielfelds nachzustellen.

Da chinesische Verbraucher zunehmend hohe Erwartungen an ihr Einkaufserlebnis haben, müssen Einzelhändler die neuesten Technologien in ihre Ladendesigns integrieren (Lesen Sie unseren verwandten Artikel zur Konvertierung des Offline-Erlebnisses zu Online-Wachstum im Einzelhandel). Der dänische Spielzeughersteller Lego hat sich bei der Gestaltung seiner neuesten Flagship-Stores in Shanghai und Peking dafür entschieden, das Design seiner Geschäfte zu individualisieren. Diese bieten den Kunden einzigartige Erlebnisse, die es nur vor Ort gibt. Durch sogenannte Mosaic Maker können, mit Hilfe von Gesichtsscannern, Anleitungen für den Bau individualisierter Kundenportraits aus Legosteinen  erstellt werden. Überdimensionale 3-D-Modelle von lokalen Sehenswürdigkeiten aus Legosteinen sowie interaktive Spiele und Fotos können auf Social Media geteilt werden und bieten Alleinstellungsmerkmale.

Richtige Strategie finden

Der chinesische Konsumentenmarkt verführt mit seiner Größe und Wachstumsrate, doch fällt es westlichen Unternehmen meist schwer, den Markt zu verstehen und Entwicklungen richtig einzuordnen. Zu heterogen und regional unterschiedlich sind chinesische Konsumentengruppen. Hochpreisige Mieten, Beziehungspflege zu Vermietern von Einzelhandelsflächen und lokale Konkurrenz stellen große Herausforderungen dar. Unternehmen sollten folgende Punkte bei ihrer Einzelhandelsstrategie in China beachten:

– Der chinesische Markt verschlingt hohe Finanz- und Managementressourcen. Wer China auf Sparflamme bearbeiten will, hat schon verloren, bevor er beginnt.

– Vertrieb. Abhängig von Investitionsbereitschaft und Kontrollwunsch gilt es, die geeignete Struktur zu wählen: Eigene Geschäfte (Zara, Aldi), Joint Venture (Galeries Lafayette), Franchising (Adidas), Licensing (Disney), Handelspartner (Pandora) oder eine Mischform (Lego).

– Kundenerlebnisse erzeugen. Das Verschmelzen von On- und Offline bietet zahlreiche Möglichkeiten, einzigartige barrierefreie Kundenerlebnisse zu schaffen, die im Einklang mit dem Markenimage stehen. Dabei ist die Offenheit für neue Technologien ein Muss.

– Wer Konsumenten effektiv ansprechen will, benötigt eine lokalisierte (digitale) Marketing- und Kommunikationsstrategie.

– Flexibilitä Die Bedürfnisse und Gewohnheiten chinesischer Konsumenten ändern sich schnell. Dem lokalen Personal sollte Gehör geschenkt und die eigene China-Strategie regelmäßig angepasst werden.

– Holistische Betrachtung. Im Premiumsegment ein etabliertes Phänomen, kaufen Chinesen Luxusgüter mehrheitlich im Ausland. Stationäre Einzelhandelsgeschäfte in China gelten bei einigen Luxusmarken denn auch mehr als Investition in die Marken- und Kundenpflege als primär dem Verkauf.

Für Unternehmen gilt es, in der integrativen Einzelhandelswelt den Durchblick zu behalten und Wachstumschancen zu identifizieren. Dabei können lokale Partner aufgrund ihres Marktwissens und ihrer Erfahrung entscheidend zum Erfolg beitragen.

Über den Autor

Mike Hofmann, MBA ist Geschäftsführer von Melchers China in Peking, einem auf Premiummarken fokussierten Einzelhandelspartner und Dienstleister in China. Er ist erreichbar unter [email protected]. Mehr Informationen zu Melchers finden Sie hier www.melchers-china.com

 

Dieser Artikel ist im Original in der Print- und Onlineausgabe des Wirtschaftsmagazines GC Ticker Winter 2019 Edition in englischer Sprache erschienen.

 

 

 

 

 

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