Einzelhandelstrends für westliche Marken in China
Totgesagte leben bekanntlich länger. Auch in China wurde dem stationären Einzelhandel der Untergang vorausgesagt. Zu beeindruckend waren die Adaptionsgeschwindigkeit von Konsumenten für digitale und mobile Einkaufsangebote sowie daraus resultierende E-Commerce-Wachstumsraten von jährlich über 30 Prozent. Seit 2013 ist China weltgrößter Onlinemarkt.
Bezeichnend ist eine Wette zwischen dem Vorsitzenden der Immobiliengruppe Wanda, Wang Jianlin, und dem Gründer von Alibaba, Jack Ma. Als Ma bei einem gemeinsamen Fernsehauftritt 2012 prahlte, das E-Commerce den stationären Einzelhandel nahezu ersetzen werde, wettete Wang, dass es dem Onlinehandel in den kommenden zehn Jahren nicht gelingen werde die 50-Prozent-Marke am Gesamteinzelhandelsumsatz Chinas zu überschreiten. Der Verlierer soll 100 Millionen Yuan zahlen. Während die Marktforscher von eMarketer erwarten, dass China 2019 mit Konsumausgaben von 5,6 Billionen US-Dollar die USA als weltgrößten Konsumentenmarkt ablösen wird, lag der Anteil des Onlinehandels an physischen Gütern gemäß dem Nationalen Statistikamt 2018 bei 18 Prozent.
New Retail
Anstatt eines Entweder-oder liegt die Zukunft des Einzelhandels in der Integration. Analog zu Entwicklungen im Westen, wo Onlinehändler wie Amazon in den stationären Einzelhandel durch Übernahmen und die Eröffnung eigener Geschäfte vorstoßen, verschmilzt auch in China die Onlinewelt mit dem stationären Einzelhandel. Schlagwort ist seit 2016 der von Jack Ma geprägte Begriff „New Retail“, was die Integration von Online, Offline, Technologie, Datenanalyse und Logistik in einer einzigen Wertschöpfungskette umfasst. Im Mittelpunkt stehen dabei stets der Kunde und sein Erlebnis entlang aller Berührungspunkte und auf allen Geräten. Das Integrationskonzept hat sich dabei selbst zu einem Markt für die Digitalisierung des Einzelhandels entwickelt.
Wer New Retail in der Umsetzung erleben will, kann dies im Pekinger Flagship-Store der europäischen Einzelhandelsgruppe Intersport tun. Intersport hat das Geschäft mit Tmall, Alibabas Onlinemarktplatz, im Co-Branding eröffnet und die neusten technologischen Trends integriert. So erkennen Sensoren am Eingang das Geschlecht und Alter des Kunden und geben erste Empfehlungen aus dem Produktsortiment. Verknüpfte Spiegel erkennen ein anprobiertes Kleidungsstück und liefern Produktinformationen. Ein KI-Assistent gibt Ratschläge zu komplementären Produkten. Eine Schnittstelle zu Intersports Onlinestore ist per QR-Code sichergestellt. Erst einmal eingeloggt, werden Daten zwischen dem persönlichen Account und dem Geschäft automatisch geteilt. Sollte ein Produkt in der gewünschten Größe nicht verfügbar sein, wird es online bestellt und binnen 24 Stunden zugestellt. Durch ein Augmented-Reality-Spiel können Gutscheine gewonnen und ein dabei erstellter Cartoon in sozialen Medien geteilt werden. Intersport plant, weitere Geschäfte nach demselben Muster zu eröffnen. Ausgewertete Kundendaten helfen bei der Standortwahl.
Kundenerlebnis im Mittelpunkt
Die Integration von Einzel- und Onlinehandel erfordert die Formulierung einer Omnichannel-Strategie. Diese wird je nach Branchensegment anders ausfallen. Gemeinsam wird aber sein, dass der Einsatz von Technologien dazu führen wird, dass das Kundenerlebnis nicht durch den Wechsel von Online zu Offline unterbrochen wird, sondern diese sich einander barrierefrei ergänzen.
Getrieben wird die Entwicklung durch die Kunden. Chinesische Konsumenten gaben im PwC Global Consumer Insight Survey 2018 beispielsweise an, dass 67 Prozent vom Einzelhändler erwarten, dass dieser in der Lage ist Kundendaten und Informationen stets aktuell zu halten und ihr Einkaufserlebnis zu personalisieren. Dies geschieht in der Regel durch die Allzweckwaffe WeChat. Die App erlaubt Marken und Einzelhändlern, mit ihren Kunden in wechselseitigen Kontakt zu treten, Fragen zu beantworten, über Verkaufsaktionen und Veranstaltungen zu informieren, Geolocation-Dienste anzubieten, Produkte über ein WeChat-Miniprogramm zu verkaufen oder Loyalitätsprogramme einzurichten und zu verwalten.
Alleinstellungsmerkmale schaffen
Gebrauch von diesen Möglichkeiten macht beispielsweise das Pekinger Kaufhaus The British House. Mehr als 100 britische Mode- und Lifestylemarken nutzen die Verkaufsfläche zur Präsentation ihrer Produkte und verkaufen Online durch dessen WeChat-Miniprogramm. Wer in den Genuss von einem besonderen Erlebnisses britischer Kultur kommen möchte, kann dies im Harrods Tearoom tun. Während sich das bekannte britische Kaufhaus im Gegensatz zu seinem französischen Pendant Galeries Lafayette gegen die Eröffnung eines eigenen Kaufhauses in China entschieden hat, möchte es mithilfe des Tearooms im British House seine Kundenbeziehungen in China steigern, so Harrods Geschäftsführer Michael Ward. Außerdem veranstaltet The British House kulturelle Events mit Bezug zum Vereinigten Königreich und spricht dadurch Liebhaber der britischen Kultur an.
Der dänische Spielzeughersteller Lego hat sich bei der Gestaltung seiner neuesten Flagship-Stores in Shanghai und Peking dafür entschieden, das Design seiner Geschäfte zu individualisieren. Überdimensionale 3-D-Modelle von lokalen Sehenswürdigkeiten aus Legosteinen geben Alleinstellungsmerkmale. Sogenannte Mosaic Maker erlauben durch den Einsatz von Gesichtsscannern das Erstellen von Anleitungen für den Bau individualisierter Kundenportraits aus Legosteinen. Verschiedene Fotomotive laden zum Teilen von an den Spiel- und Bautischen erstellen Figuren auf sozialen Medien ein.
Richtige Strategie finden
Der chinesische Konsumentenmarkt verführt mit seiner Größe und Wachstumsrate, doch fällt es westlichen Unternehmen meist schwer, den Markt zu verstehen und Entwicklungen richtig einzuordnen. Zu heterogen und regional unterschiedlich sind chinesische Konsumentengruppen. Hochpreisige Mieten, Beziehungspflege zu Vermietern von Einzelhandelsflächen und lokale Konkurrenz stellen große Herausforderungen dar. Unternehmen sollten folgende Punkte bei ihrer Einzelhandelsstrategie in China beachten:
– Der chinesische Markt verschlingt hohe Finanz- und Managementressourcen. Wer China auf Sparflamme bearbeiten will, hat schon verloren, bevor er beginnt.
– Vertrieb. Abhängig von Investitionsbereitschaft und Kontrollwunsch gilt es, die geeignete Struktur zu wählen: Eigene Geschäfte (Zara, Aldi), Joint Venture (Galeries Lafayette), Franchising (Adidas), Licensing (Disney), Handelspartner (Pandora) oder eine Mischform (Lego).
– Kundenerlebnisse erzeugen. Das Verschmelzen von On- und Offline bietet zahlreiche Möglichkeiten, einzigartige barrierefreie Kundenerlebnisse zu schaffen, die im Einklang mit dem Markenimage stehen. Dabei ist die Offenheit für neue Technologien ein Muss.
– Wer Konsumenten effektiv ansprechen will, benötig eine lokalisierte (digitale) Marketing- und Kommunikationsstrategie.
– Flexibilitä Die Bedürfnisse und Gewohnheiten chinesischer Konsumenten ändern sich schnell. Dem lokalen Personal sollte Gehör geschenkt und die China-Strategie regelmäßig angepasst werden.
Für Unternehmen gilt es, in der integrativen Einzelhandelswelt den Durchblick zu behalten und Wachstumschancen zu identifizieren. Dabei können lokale Partner aufgrund ihres Marktwissens und ihrer Erfahrung entscheidend zum Erfolg beitragen.
Über den Autor
Mike Hofmann, MBA ist Geschäftsführer von Melchers in Peking, einem auf Premiummarken fokussierten Einzelhandelspartner und Dienstleister in China. Er kann unter [email protected] kontaktiert werden. Weiterführende Informationen zu Melchers finden Sie unter www.melchers-china.com
Dieser Artikel ist im Außenwirtschaftsmagazin China Contact in der Ausgabe 07/08 2019 erschienen.